Bettelmännle - Neues Projekt

Direkt zum Seiteninhalt

Bettelmännle

Narrenkleider

Die Sage vom Bettelmännle

 
Alljährlich am Martinstag (11. November) zogen die jungen Burschen mit Handkarren durch die Straßen meiner Heimatstadt (Freudenstadt) und riefen laut und in schleifendem Tonfall: ‘Holz her! Holz her!’ und es war gut, wenn der winterliche Bedarf an Brennholz auf dem Dachboden in Sicherheit war. Gut für die Hausväter, weniger gut freilich für die Burschen, die sich im Schreien wie in der Größe ihrer Holzfuhren zu überbieten suchten. Und die Bürger liefen mit dem Abfallholz ihrer Beeren- und Obstgärten und die Burschen plünderten unbewachte Holzbeigen und luden wohl auch einen schadhaften Gartenzaun auf. Dies geschah zu Ehren des heiligen Martin, des Beschützers der Armen. Das Holz wurde auf dem Kienberg zu einem gewaltigen Holzstoß aufgebaut und in der früh hereinbrechenden Herbstnacht verbrannt, daß das Feuer weit über die Stadt hinaus leuchtete. Eine Musikkapelle spielte und alles war auf den Beinen. Wenn der Holzstoß herab gebrannt war, sprangen die jungen Burschen und Mädchen über die lodernden Scheite und es gab viel Übermut und Lachen bis tief in die Nacht hinein. Ja, man beging den Martinstag wie andernorts die Sonnwendfeier.

 
Ich erinnere mich nur an eines dieser Feste. Es war das letzte, denn nach den Erschütterungen des ersten Weltkrieges wollte der alte Brauch nicht mehr aufleben. Damals sah ich mit Genugtuung das helle Feuer lodern, hatte doch mein Vater den wilden Wein, der die Rückseite unseres Hauses bis unters Dach ein gesponnen hatte, bis zur Wurzel abgeschnitten und auf die Holzkarre mitgegeben. Nun brennt das Martinsfeuer längst nicht mehr, und über die schwarze Brandplatte, die mir tags darauf das leere Gefühl vergangener Herrlichkeit einbrachte, ist längst Gras gewachsen.

Ich will jedoch von einer anderen Martinsfeier erzählen, das nun bald zwei Jahrhunderte zurückliegt. Auch damals ging es nicht viel anders zu. Der Stadtzinkenist ( Trompeter), der auf dem Kirchturm hauste und sonntags mit seinen Gesellen einen feierlichen Choral über die Dächer der Stadt hin blies, versah sein Handwerk so gut wie die Stadtkapelle. Und unsere Voreltern sind nicht weniger beherzt durchs Feuer gesprungen. Der Zinkenist hatte ein Menuett brav zu Ende gespielt. Das Feuer war zusammen gesunken. Gleich mußte das Springen beginnen. Da trat plötzlich ein behendes, sehniges Männlein aus dem Kreis der Umstehenden, tat ein paar kurze, federnde Schritte und schnellte über das Feuer. > Das Bettelmännle! < schrie jemand, > das Bettelmännle! < kreischten die Frauen und die auf der Gegenseite standen, stoben auseinander. Eine Gasse entstand, durch die das Männlein eilte. Man sah nur noch undeutlich im Feuerschein, wie es ein Pferd losband von einem Baum, es rasch bestieg und in leichtem Trab verschwand.

> Wohin mag es reiten? <
> Einen roten Mantel hat es angehabt! <
> Ach, der war nicht rot, der hat nur im Feuer so aus geschaut! <
> Krieg und Brand, Wassernot, Hungertod! <
> Woher ist es gekommen? <

Niemand wußte es zu sagen, niemand hatte es zuvor gesehen. Es war auf einmal da; und nun geht es um: Das Bettelmännle ist im Land, bringt Krieg und Brand, Wassernot, Hungersnot ; Schütz uns Gott! Nun hatte der Martinstag gemeinhin noch eine andere Bedeutung: Wenn der Sommer keine wasserarme Zeit gebracht hatte, so konnten die Kinzigtäler vor dem Martinstag das letzte Floß, geschmückt mit einem Tannenbäumle, auf der Talfahrt sehen. Hernach wurden die Weiher fein hochgezogen, die Wasserstuben und Schwallungen liefen leer und bis Ostern vernahm niemand die Rufe der Flößer mehr: Die geschlossene Zeit begann. Was lag näher, als die Jahresarbeit dieses männlichen Handwerks mit einem Trunk abzuschließen.

War der Holzhandel schlecht gewesen, so stieß man auf eine bessere Zukunft an, war er aber gut, so war das erst recht ein Grund zum Trinken und die Flößer waren nicht nur wetterfest, sie waren auch aufrechte Kerle im Trinken.

Im Rötenbach hatten Ann und Bärbel, die beiden Töchter der Traubenwirtin, Feuer im großen eisernen Kachelofen gelegt. Nun saßen sie bei ihren Spinnfädlein in einer Ecke der Wirtsstube. Da kamen der junge Gall und der Mutschler mit dem Wieder die dunkle und schmale Treppe hoch, traten ein und setzten sich an den Tisch, über dem als gewichtiges Zunftzeichen, vom Rauch gebräunt, eine starke alte Floßwiede hing. Das Bärbele brachte Bier. Nach und nach stellten sich all die Waldbauern ein, darunter der Nollenberger, der Dieboldsberger und der Daisbauer. Der kam mit dem Vogt des Peterzeller Stabs von dem hinteren Rötenbächle hergeritten. Nun standen die Pferde im Stall und beide traten mit dem Traubenwirt in die Stube ein.

Da gingen die Gespräche über den Holzhandel und die Schiltacher Kompanie hin und her, der Tabaksqualm stieg aus den holländischen Tonpfeifen zur dunklen Holzdecke und schwebte um die Floßwiede. Da wurde die Tür aufgerissen und die Wirtin trat herein. Sie grüßte kurz und sagte nach Atem ringend, in die Gesprächspause hinein: > Ein Wetter steht über dem Ehlenboger Tal und ist viel Wasser im Bach. Auch sagen die Leute, das Bettelmännle sei im Land. Es soll auf dem Kienberg gewesen sein, beim Martinsfeuer und nach dem Rodter Weg geritten sein. <

> Wie, das Bettelmännle? <

> Freilich, ich weiß auch nichts Genaues < fuhr die Wirtin fort. Eine kleine Stille entstand, in der man das Rauschen der Kinzig deutlicher als sonst vernahm. Die Schwarzwälder Uhr tickte mit harten Schlägen. > Ei, das wär, das wär freilich ein Unglück. < > Ich geb nicht viel auf das Bettelmännle. Das läßt sich ohnehin nicht sagen. Die Sache damals, wie der Löwen abgebrannt ist < > Und wie ist das zugegangen? < fragte die Ann. Da erzählte der Dais: > Daran hat wohl das Bettelmännle schuld gehabt. Es war vor mehr als fünfzig Jahren, als die Gaststube im Löwen voll vornehmer Gäste war. Da wollte ein hageres Männlein, das mit Flicken und Löchern arm genug gekleidet war, die Tür zur Gaststube öffnen, als ihm unversehens der Knecht entgegen trat und ihm den Weg verstellte. Er musterte das dürftige Männlein vom Kopf bis zum Fuß und herrschte es an: > Was suchst du hier ? Da ist kein Platz für dich! < > Essen wil ich und eine kleine Stunde Rast, < antwortete das Männlein. Der Knecht aber herrschte es an: > Du magst bei einem Bauern ins Stroh kriechen und eine Suppe betteln. Ich kenne den Vogel an den Federn. Auch ist der Amtmann drin und läßt dich greifen und in den Turm setzen. < > Essen um Gottes Lohn ist mein gutes Recht, aber du bist das Vergelt’s Gott nicht wert! < sprach’s und war in der Gaststube drin. Der Knecht ließ es gewähren, denn er wollte um der Gäste willen ein Lärmen verhüten. Es war aber kein Stuhl mehr frei, und die Gäste wollten um des schäbigen Männleins willen nicht zusammenrücken. Da blieb es am Schanktisch stehen und der Knecht brachte ihm einen Topf heißer, saurer Suppe. > Wohl bekomms! < sagte der Knecht und brach in ein unbändiges Lachen aus, als das Männlein heißhungrig zum Löffel griff, sich den Mund verbrannte und ob der sauren Brühe das Gesicht verzog. Auch die Gäste lachten ob des unerwarteten Schauspiels. Das Männlein aber setzte den Topf auf den Schanktisch und sagte: > Dank fürs Essen und du sollst einen Platz am Tisch bekommen und eine heiße Suppe, daran sollst du all dein Lebtag denken. < Damit trippelte es zur Tür hinaus. Der Amtman wollte es greifen lassen, aber das Männlein war nirgends mehr zu finden. Einige Tage hernach brannte der Löwen. In der Küche ist das Feuer ausgebrochen, das war die heiße Suppe. Und der Löwen brannte bis auf die Grundmauern nieder. < Soweit berichtete der Daisbauer. Der Wieder aber fügte hinzu: > Ja, so hat es mir auch mein Vater zu Hause erzählt. Es soll damals auch die Klostermetzig abgebrannt sein. Der Löwenwirt hat hernach von dem schlechten Handel seines Knechts erfahren und hat ihn entlassen. Er hat aber den Löwen wieder neu erbaut und zur Erinnerung das Bettelmännle in Stein hauen lassen. Das ist heute noch zu sehen mit dem großen Suppentopf. <

Das mit dem Suppentopf ist nichts. Es ist das Martyrium des heiligen Veit, der in siedendem Öl für seinen christlichen Glauben gestorben ist. Der Löwenwirt, der ein rechter Mann war, brachte auch einen gottesfürchtigen Spruch am Türsturz an: > Dis ist der alte Lew aus Noth jetzt neu gebauet von Jacob Lutzen der sich seinem Got vertrauet und glaubt er werde stets des Hauses Mieter sein ei kehre liber Freund beim alten Lewen ein. < Der Nollenberger erzählte: > Es muß schon recht lange her sein und hat damals zum Nollenberg viel Wald, Weiden und Reuffeld gehört, bis hinauf zum Staufenkopf und talwärts bis zum Dais. Und mein Vorfahr mochte reich gewesen sein, reich und stolz, wie der Pfennigturm im Straßburger Münster. Kam da eines Tages ein Männlein zum Hofbauern, das nicht viel besser gekleidet war als eine Vogelscheuche im Wingert. Und wie es so mit demütiger Gebärde um ein Stück Brot bat, das dem reichen Nollenberger doch im Überfluß auf den Feldern wuchs, da entgegnete der Bauer kurz, er hab sein Lebtag noch kein Brot wachsen sehen. Seines komme aus dem Backofen, und sei überhaupt eine mühselige Arbeit ums Brot. Umsonst wüchsen nur die Steine auf seinen Reutfeldern. Davon könne er eine ganze Menge mitnehmen, wenn er sich lieber auf den Bettel als auf die Arbeit verlegen wolle. Das war hart gesprochen, es lag aber auch Bauernstolz darin, und daran wäre nichts auszusetzen. Nun, das Männlein guckte wie eine Saatkrähe in der Mauser und meinte: > Steine hast du mir angeboten, und Steine will ich dir zurückgeben. < Mit diesen Worten stieg das Männlein behend bergauf. Es hat aber damals eine Viehhütte auf dem Staufenkopf gestanden, die zum Nollenberger Hof gehörte. Da kam in selbiger Nacht der Hüterbub zum Hof herabgelaufen und rief: > Bauer, es geht nicht mit rechten Dingen zu. Die Kühe sind nicht mehr und die Hütte ist auch nicht! < > Wie sollte das zugegangen sein? <

> Seltsam genug, < erwiderte der Bub. > Das Vieh hatte Schatten gesucht, denn es war ein heißer Tag. Es war gemolken und lag rings um die Hütte und käute, und ich ließ es ruhen bis zur Dunkelheit. Wie dann der volle Mond hinter dem Reutiner Berg aufstieg, wollte ich es in die Hütte treiben. Ich schnalzte, wie ich es immer tat, aber es rührte sich nichts, Ich knallte mit der Peitsche, alles blieb still. Da lag noch der scheckige Stier, der eben nach mir umguckte. Aber wie ich nähertrat, war es ein großer Stein. Da ging ich zu den Kälbern - Steine. Aber da drüben lag gewiß noch die rote Kuh - es war ein dunkler Stein. Und wie ich nicht ein noch aus wußte und zur Viehhütte lief, zu sehen, ob etliches Vieh drinnen sei, stand ich vor einem Fels, so groß wie ein Haus. < > Hast du vielleicht das Bettelmännle gesehen? < wollte der Bauer wissen. > Wohl sah ich es, < meinte der Bub, > nachdem es am Waldrand geruht hatte, stieg es zur Sattellege hurtig hinab. < Soweit erzählte der Nollenberger. Es entstand eine kleine Stille, in welche die Schwarzwalduhr mit ihrem Glasglöcklein neun Schläge tat. Der Dieboldsberger sagte: > Immerhin beginnt der Bettelmännleweg an der Sattellege unterm Staufenkopf und zieht seit unvordenklichen Zeiten hinüber zum Schömberg. Auf selbem Weg wird das Bettelmännle gesehen, wenn es wieder aus dem Lande geht. Manchmal reitet es auch, dann steigt es an der Sattellege ab, gibt seinem Pferd einen Schlag an den Hals: > Nun lauf zu <

> Guten Abend, du scheinst hier zu Hause zu sein! < > Überall bin ich zu Hause, < antwortete der Fremde, ohne aufzublicken, > wohl dem, der am eigenen Herd sitzt und dem das Brot nicht fehlt. < > Das ist der Platz für des Stabsvogts Pferd, du mußt deinen Klepper an den Türpfosten binden. < Allein der Fremde gab keine Antwort und begann, Heu in der Raufe aufzustecken. Da trat der Wirt neben das Pferd und sagte: > Das ist Hafer aus meinem Sack und Heu aus meinem Barn, und wenn du die Möhre nicht gleich aus dem Stall bringst, so magst du sehen, wo du auf die Nacht bleibst. < Mit diesen Worten band der Wirt das Pferd los und führte es aus dem StalL > Verdammtes Biest < es legte die Ohren an und hebt die Lefzen.

Indessen sprang der Fremde hinzu, griff zum Halfter und führte es aus der Hand des Wirtes weg gerade wieder in den Stall zurück. > Ich denke, es ist ein Gasthaus, darin für Mensch und Tier Raum ist und Speise und Trank um einen Gotteslohn. < > Aber nicht zum frechen Bettel, < rief der Wirt zornig, > du kannst dein Tier zum Bache bringen, da kann es saufen die ganze Nacht. < Der Fremde aber erwiderte: > Ja, du und deine Waldbauern sollen nicht schwimmen! < Gleichzeitig warf ein Blitzstrahl eine jähe Helle übers Tal vom Kapf bis ins Dais und gegen die Teufelsküche. Die Kinzig rauschte drohend und der Donner eilte dutzendfach in die Talwinkel. Noch fiel kein Tropfen. Da stand die Wirtin unversehens unter der Stalltür. Ihr Herz klopfte, als sie den Fremden gewahrte. > Mann, laß gut sein, < rief sie und Angst zitterte in ihrer Stimme. Sie zupfte ihn am Ärmel und sagte leise zu ihm: > Es ist das Bettelmännle< > Tausend Not! < rief der Wirt, > da werden wir ein dickes Wetter auf den Hals kriegen. < > Ein dickes Wetter! < lachte das Männlein trocken. Damit stiegs die Treppe hinauf und trat in die Stube ein. Die Waldbauern sahen nach dem Fremden. > Das Bettelmännle! < dachte jeder, aber keiner sagte es. Das Männlein hing unbefangen seinen Mantel auf und setzte sich an den Tisch neben dem Ofen. Obwohl kein Regen gefallen war, so tropfte doch das Wasser aus dem grauen Reitermantel. Die Lampe flackerte und erlosch. Ein Blitzstrahl fiel und mit dem Donner rauschte der Regen und schlug mit heftigen Stößen gegen die Fenster und die Hauswand. > Der Bach hat viel Wasser,und das Wetter stand lange über dem Ehlenboger Tal! < Die Waldbauern erhoben sich und im Gedränge des Aufbruchs war das Bettelmännle verschwunden. Die Waldbauern gingen mit schweren Schritten die Treppe hinab, hinaus in die Sturmnacht, die erfüllt war vom ungeheuren Brausen der Kinzig.


Zurück zum Seiteninhalt